. .

Kinder Arche

Für die Zukunft

vor Ort

 

Kinderarche in Zeiten der Corona: ein Besuch vor Ort, September 2020

Als Gründungsmitglied von Herz und Hand und dank meiner persönlichen Beziehungen nach Sarajevo verfolge ich schon seit Jahren die Entwicklung von Kinderarche fast aus "nächster Nähe“. Meine Unterstützung war bis jetzt jedoch überwiegend der „administrativen“ Natur: Berichte und Karteikarten übersetzen, Fotos einordnen, diverse Texte verfassen… Die geänderten Umstände, unter welchen wir alle zurzeit zu leben und zu arbeiten haben, führten jedoch dazu, dass diesmal es ich war, die als einzige nach Sarajevo reisen konnte und bei der Gelegenheit den Kinderarche-MitarbeiterInnen über die Schulter schaute und auch einige Empfänger aus dem Familienunterstützungsdienst-Programm (FUD) besuchte. Für mich war das eine sehr wertvolle Erfahrung, denn obwohl ich die Namen und Geschichten von diesen Menschen kannte, war ich ihnen noch nicht persönlich begegnet.

Nach einem Vorgespräch in der Arche, bei dem alle Team-Mitglieder, sowohl die SozialassistentInnen aus dem Familienunterstützungsdienst als auch die Erzieherinnen, die Handarbeitsgruppenleiterin und die Hauswirtschafterin, anwesend waren, fuhr ich mit zwei FUD-Mitarbeitern zu insgesamt zehn Adressen.

Den ersten Stopp machten wir bei der Oma K. R., deren ärmliches Zuhause und schlechter Gesundheitszustand mich wirklich bestürzten. Über unseren Besuch, obwohl mit Abstand und nur vor der Haustür, und das warme Essen hat sie sich sehr gefreut. Allen in Deutschland schickt sie viele liebe Grüße und Gottes Segen.

Der Besuch bei der Familie S. verlief in einer sehr entspannten, sogar lustigen Atmosphäre. Obwohl sie es unheimlich schwer haben und ohne ein regelmäßiges Einkommen für ihren Enkelsohn sorgen müssen, verlieren der Opa A. und seine Frau nicht den Mut und scherzen gerne. Der Besuch bei ihnen bestätigte erneut, dass zwischenmenschliche Kontakte genauso wichtig sind wie eine warme Mahlzeit.

Danach besuchten wir Frau S. V., die 86-jährige Mutter des vor einigen Wochen verstorbenen Ž. V. Solange sie sich um ihren an Multipler Sklerose schwer erkrankten Sohn kümmern musste, war sie selbst sehr stark. Jetzt merken die FUD-MitarbeiterInnen immer mehr Veränderungen an ihr, die Kraft verlässt sie wohl langsam. Frau V. möchte die Hilfsmittel (Pflegebett und -matratze, Rollstuhl, Toilettenstuhl) ihres Sohnes gerne unserem Projekt überlassen: Die MitarbeiterInnen können sie dann anderen Bedürftigen zur Verfügung stellen.

Herr F. K., der in einer verwahrlosten Kellerwohnung lebt und schwer krank ist, hat sich über unseren Besuch ebenfalls sehr gefreut und für alles, was für ihn getan wird, von Herzen bedankt. Seine Wohnung verlässt er äußerst selten, da er mit Krücken läuft und auch für ganz kurze Strecken viel Zeit braucht.

Das Ehepaar H., das beide Söhne im Krieg verloren hatte, besuchten wir in ihrem neuen Zuhause, einer 1-Zimmer-Wohnung, die ihnen bis zu ihrem Tod von der Stadt zur Verfügung gestellt wird. Mit Frau H. unterhielten wir uns lange vor der Wohnungstür, sie war trotz ihrer Lage sehr positiv gestimmt. Ihr Ehemann ist bettlägerig, er kann kaum selbständig laufen. Wir konnten ihn durch die Wohnungstür sehen und auch mit ihm kurz sprechen. Er war sehr traurig, weil wir nicht hineinkommen konnten. Beide haben sie betont, dass die Besuche, Gespräche und die warmen Mahlzeiten ihnen sehr viel bedeuten.

Der Besuch bei der Familie P. verlief in gedrückter Stimmung: Am Tag zuvor wurde die Ehefrau und Mutter S. ins Krankenhaus eingeliefert, weil sie sich wegen einer Krebserkrankung erneut einer Operation unterziehen muss. Der 12-jährige A. freut sich jedoch, dass er wieder einige Tage in der Woche in der Schule verbringen darf.

Das Essen für Đ. I., die ein Pflegefall ist und das Bett nicht verlassen kann, nahm ihr taubstummer Sohn an der Haustür entgegen. Die Sozialassistentin unterhielt sich kurz mit ihm – so gut das eben ging – und wir erfuhren, dass es seiner Mutter den Umständen entsprechend gut ging.

Frau H. K. und ihre Tochter freuten sich aufrichtig über unseren Besuch. Von unseren MitarbeiterInnen erfuhr ich, dass sich die beiden Frauen jedes Mal auf gleiche Weise von ihnen verabschieden: „Wenn ihr die da oben im Norden (gemeint ist Deutschland) sprecht, sagt vielen Dank und liebe Grüße“

Frau S. M., die alleine in einem Häuschen im Vorort Vogošća lebt, erzählte uns, dass sie über den Tod eines Nachbarn, der nur 55 Jahre alt wurde, sehr traurig war. Ihre Einsamkeit merkte man ihr regelrecht an, umso mehr freute sie sich über unseren Besuch, das Gespräch und das warme Essen.

Zum Schluss fuhren wir noch zum Häuschen der Frau M. A., die alle wegen ihrer Strickkünste liebevoll „die Sockenoma“ nennen. Ich konnte sie leider nicht persönlich kennenlernen, da sie am Tag zuvor wegen Gallensteine ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wollte aber trotzdem sehen, wo sie wohnt. Vor Ort trafen wir ihre Enkelin und einen Urenkel an, die gerade einige Kleidungsstücke für sie zusammensuchten. Frau A. durfte das Krankenhaus zum Glück relativ schnell wieder verlassen. Unsere Crew ist mit ihr regelmäßig in Kontakt: Es geht ihr gut, aber im Moment ist sie noch bei der Enkelin, die sich um sie kümmert.

Diese Vor-Ort-Besuche und die Gespräche mit den Menschen, die dank der großzügigen Hilfe aus Deutschland regelmäßig betreut werden, haben mich sehr beeindruckt. Alle sind für die Unterstützung, die ihnen zuteil wird, mehr als dankbar und wissen die Anstrengungen unserer Vereinsmitglieder und Spender in Deutschland sowie die Arbeit unserer MitarbeiterInnen vor Ort zu schätzen.

Ansonsten hatte ich die Gelegenheit mit den Erzieherinnen über ihre Arbeit in der KiTa zu reden. Wegen der Pandemie gelten strenge Hygienevorschriften, aber sie meistern ihre Aufgaben sehr gut. Zum Glück gibt es in der Arche einen Garten und einen Hof, sodass die Kids viel Zeit draußen verbringen können.

Die Frauen aus der Handarbeitsgruppe nähen weiterhin fleißig die Schutzmasken. Seit einiger Zeit treffen sie sich auch wieder in der Arche, aber immer nur zwei Frauen und die Kursleiterin zusammen. Sie vermissen alle ihre „normalen“ Treffen, wissen jedoch, dass sie in diesen Zeiten sehr vorsichtig sein müssen.

Alle, die ich in Sarajevo gesehen und gesprochen habe, sind traurig, dass es dieses Jahr keine Besuche und keinen Austausch mit den Freuden aus Deutschland geben kann. Wir können nur hoffen, dass 2021 mehr Sicherheit und Normalität mit sich bringen wird.

Aleksandra Vrdoljak